Sozialleistungen und Aufenthaltsrecht

Generalanwältin Ćapeta: Die Mutter einer mobilen EU-Arbeitnehmerin kann eine Sozialleistung beanspruchen, ohne dass dadurch ihr Aufenthaltsrecht in Frage gestellt wird

Der Gleichbehandlungsgrundsatz steht der Feststellung entgegen, dass eine solche Verwandte Sozialhilfeleistungen des Wohnsitzstaats unangemessen in Anspruch nimmt

GV besitzt die rumänische Staatsangehörigkeit und ist die Mutter von AC, einer rumänischen Staatsangehörigen, die in Irland wohnt und arbeitet. AC ist zudem eingebürgerte irische Staatsbürgerin. GV zog 2017 zu ihrer Tochter nach Irland und wohnt seitdem rechtmäßig dort. Sie ist seit 15 Jahren finanziell von AC abhängig. 2017 traten bei GV degenerative Veränderungen ihrer Arthritis auf, woraufhin sie einen Antrag auf Invaliditätsbeihilfe nach dem Irish Social Welfare Consolidation Act 2005 (konsolidiertes irisches Sozialschutzgesetz von 2005) stellte.

EUGH Generalanwältin Februar 2023

EUGH im Juni 2022

Die Anpassung von Familienleistungen und verschiedenen
Steuervergünstigungen, die Österreich Erwerbstätigen gewährt, nach Maßgabe des Wohnstaats ihrer Kinder verstößt gegen das Unionsrecht
Was die Familienbeihilfe und die Gesamtheit der Steuervergünstigungen betrifft, weist der Gerichtshof darauf hin, dass nach dem Unionsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit der Wanderarbeitnehmer unzulässig ist.

Am 1. Jänner 2019 führte Österreich einen Anpassungsmechanismus für die Berechnung der Pauschalbeträge der Familienbeihilfe und verschiedener Steuervergünstigungen ein.

Da die Kommission der Ansicht war, dass dieser Anpassungsmechanismus und die daraus resultierende, Ungleichbehandlung von Wanderarbeitnehmern gegenüber Inländern gegen das Unionsrecht verstießen, erhob sie beim Gerichtshof eine Vertragsverletzungsklage gegen Österreich.
In seinem Urteil vom 16. Juni 2022 stellt der Gerichtshof fest, dass die streitige österreichische Regelung gegen die Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit verstößt.

Da der streitige Anpassungsmechanismus nur zur Anwendung kommt, wenn das Kind nicht in Österreich wohnt, betrifft er im Wesentlichen die Wanderarbeitnehmer, da insbesondere ihre Kinder möglicherweise in einem anderen Mitgliedstaat wohnen.

Außerdem kommen die von diesem Mechanismus betroffenen Wanderarbeitnehmer großteils aus Staaten, in denen die Lebenshaltungskosten niedriger sind als in Österreich, weshalb sie Familienleistungen sowie soziale und steuerliche Vergünstigungen in geringerer Höhe erhalten als österreichische Arbeitnehmer.

Dieser Anpassungsmechanismus stellt daher eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar, die jedenfalls nicht gerechtfertigt ist. Der Wanderarbeitnehmer ist nämlich in gleicher Weise wie ein inländischer Arbeitnehmer an der Festsetzung und Finanzierung der Beiträge, die der Familienbeihilfe
und den Steuervergünstigungen zugrunde liegen, beteiligt, ohne dass es insoweit auf den Wohnort seiner Kinder ankommt. Folglich verstößt die streitige österreichische Regelung auch gegen die Verordnung über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union.
Unter diesen Umständen gibt der Gerichtshof der von der Kommission erhobenen Vertragsverletzungsklage in vollem Umfang statt

Presseerklärung des EUGH

Der Volltext des Urteils