9. April 2024

EU-Richtlinie will Plattformarbeiter wie Fahrradlieferanten, Boten und Nachhilfelehrer zu vollwertigen Arbeitnehmern machen. Das hat auch Konsequenzen für deren soziale Sicherung. Plattformarbeiter sind in Zukunft als Arbeitnehmer anzusehen – es sei denn, es kann widerlegt werden.

Die für Beschäftigung und Soziales zuständigen Minister/innen der EU haben am 11. März die Einigung über die Richtlinie über Plattformarbeit bestätigt, die am 8. Februar 2024 zwischen dem Ratsvorsitz und dem Europäischen Parlaments erzielt wurde. Mit dem EU-Rechtsakt sollen die Arbeitsbedingungen verbessert und die Verwendung von Algorithmen durch digitale Arbeitsplattformen reguliert werden. Die Richtlinie muss nun noch vom EU-Parlament und anschließend vom Rat angenommen werden. Nach der Veröffentlichung im Amtsblatt haben die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.

Bekämpfung von Scheinselbstständigkeit in der Plattformarbeit

Plattformarbeit ( u.a. auch „Crowdworking“)bezeichnet Beschäftigungsformen, bei der Arbeit/Dienstleistungen gegen Bezahlung über eine digitale Plattform organisiert sind. Klassische Beispiele sind insbesondere Boten- und Fahrdienste, aber auch Dienstleistungen wie Reinigungs- oder Betreuungsarbeiten und Programmier­leistungen. Wenn man etwa Lieferdienste in Anspruch nimmt, nutzt man dazu eine “Plattform”, eine Website oder App, die schnell und gezielt einen geeigneten Lieferanten vermittelt.

Der vereinbarte Text sorgt für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Achtung der nationalen Arbeitssysteme und der Gewährleistung von Mindeststandards für den Schutz der mehr als 28 Millionen Menschen, die über digitale Arbeitsplattformen in der gesamten EU arbeiten. Diese Zahl soll im Jahr 2025 auf 43 Millionen ansteigen.

Im Mittelpunkt steht eine gesetzliche Vermutung, die dazu beitragen wird, den korrekten Beschäftigungsstatus von Personen, die über digitale Plattformen arbeiten, zu bestimmen:

  • Die Mitgliedstaaten werden in ihrem Rechtssystem eine gesetzliche Vermutung eines Beschäftigungsverhältnisses festlegen, wenn Tatsachen auf Kontrolle und Steuerung hindeuten.
  • Diese Tatsachen werden nach nationalem Recht und Kollektivverträgen festgestellt, wobei die EU-Rechtsprechung zu berücksichtigen ist.
  • Personen, die Plattformarbeit leisten, ihre Vertreter oder nationale Behörden können sich auf diese gesetzliche Vermutung berufen und ihre Falscheinstufung geltend machen.
  • Es obliegt der digitalen Plattform nachzuweisen, dass kein Beschäftigungsverhältnis besteht.

Darüber hinaus werden die Mitgliedstaaten digitalen Plattformen und nationalen Behörden bei der Einführung der neuen Maßnahmen Leitlinien an die Hand geben.

Regulierung des algorithmischen Managements

Durch die mit dem Parlament erzielte Einigung wird sichergestellt, dass Beschäftigte ordnungsgemäß unterrichtet werden, wenn automatisierte Überwachungs- und Entscheidungssysteme unter anderem in Bezug auf ihre Einstellung, ihre Arbeitsbedingungen und ihren Verdienst zum Einsatz kommen.

Außerdem wird der Einsatz automatisierter Überwachungs- oder Entscheidungssysteme für die Verarbeitung bestimmter Arten personenbezogener Daten von Personen, die Plattformarbeit leisten, – wie etwa biometrische Daten oder ihr emotionaler oder psychischer Zustand – verboten.

Die menschliche Aufsicht und Bewertung, einschließlich des Rechts auf eine Erklärung und Überprüfung der Entscheidung, werden auch in Bezug auf automatisierte Entscheidungen gewährleistet.

Was sind die wichtigsten Herausforderungen?

Ziel ist es, die Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit zu verbessern und die Chancen, der Plattformökonomie zu unterstützen.

Die Herausforderungen sind: Unklarheit beim Beschäftigungsstatus, mangelnde Transparenz und Vorhersehbarkeit der Vereinbarungen bis hin zu unzureichendem Zugang zum Sozialschutz.

Inhalt des Kompromisstextes

Die Umsetzung der Richtlinie bietet nun die Chance, die Unterscheidung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Arbeit genauer zu definieren und diese an die Realität der Digitalisierung anzupassen. Das kann auch aus Sicht der Unternehmen vorteilhaft sein.

Rechtsprechung in Deutschland dazu:

In Deutschland hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Dezember 2020 zum Arbeitnehmerstatus eines Crowdworkers entschieden: “Die kontinuierliche Durchführung einer Vielzahl von Kleinstaufträgen („Mikrojobs“) durch Nutzer einer Online-Plattform („Crowdworker“) auf der Grundlage einer mit dem Betreiber („Crowdsourcer“) getroffenen Rahmenvereinbarung kann im Rahmen der nach § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB gebotenen Gesamtbetrachtung zur Annahme eines Arbeitsverhältnisses führen, wenn der Crowdworker zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet ist, die geschuldete Tätigkeit ihrer Eigenart nach einfach gelagert und ihre Durchführungen inhaltlich vorgegeben sind sowie die Auftragsvergabe und die konkrete Nutzung der Online-Plattform im Sinne eines Fremdbestimmens durch den Crowdsourcer gelenkt wird.”

Erasmus+

Potenzieller Nutzen: 20 Mrd. € pro Jahr

Erasmus+ fördert aktiv eine positive Einstellung gegenüber der EU und trägt über alle geförderten Aktivitäten hinweg zur Entwicklung einer europäischen Identität bei. Das Erasmus+-Programm der Europäischen Union für allgemeine und berufliche Bildung verfügt über ein Gesamtbudget von 26 Mrd. EUR im Zeitraum 2021-2027. Es bietet Lernenden und Praktikern die Möglichkeit, sich durch Studium, Ausbildung, Arbeitserfahrung oder Freiwilligenarbeit im Ausland persönlich und beruflich weiterzuentwickeln.

Der Multiplikatoreffekt dieser Investition beträgt 10 € (niedrigste Schätzung) für jeden investierten €. Wenn man berücksichtigt, dass im Rahmen von Erasmus+ mehr als 1 Million Studierende in der Hochschul- und Berufsbildung finanziert werden, und dies mit dem investierten Betrag multipliziert (durchschnittlich rund 1 919 EUR im Jahr 2019), beläuft sich der potenzielle Effizienzgewinn auf mindestens 20 Mrd. EUR pro Jahr.

Die Mitgliedstaaten sind nicht in der Lage, solche Wirkungen allein zu erzielen. Kein anderes Programm, keine andere Finanzierung, Mobilität oder grenzübergreifende Zusammenarbeit bietet in der EU einen vergleichbaren Umfang und Anwendungsbereich.

Der strategische Rahmen für die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung (ET 2020) enthält gemeinsame strategische Ziele für die EU-Mitgliedstaaten. Erasmus+ bietet die relevanteste systematische und finanzielle Unterstützung, um diese Benchmarks in der EU zu erreichen:

Beispiel: Hochschulbildung: Im Jahr 2019 gab es in der EU-28 4,9 Millionen Hochschulabsolventen. Im Jahr 2020 gab es rund 312 000 Hochschulteilnehmer, die an Leitlinienprojekten teilnahmen. Auf die Erasmus+-Mobilität entfallen etwa 6,3 % der Hochschulabsolventen in der EU-28.

Europäisches Parlament 2023: EPRS. Mapping the cost of Non-Europe (2022-2032)

Steigerung der europäischen Wertschöpfung im Zeitalter globaler Herausforderungen

Oder: Die Kosten des „Nicht-Europas“ (2022-2032)

Die europäische Integration ist ein wichtiger Motor für Wachstum, Frieden, Umweltschutz und sozialen Wohlstand. Gleichwohl bleiben anhaltende Herausforderungen bestehen. Das Europäische Parlament befürwortet eine Reihe ehrgeiziger, kollektiver EU-Maßnahmen, mit denen erhebliche potenzielle Gewinne realisiert werden können, nicht nur heute, sondern auch in verschiedenen Zukunftsszenarien. Die Studie unterstützt das Europäische Parlament bei der Festlegung der politischen Agenda und die Debatte über einen nachhaltigen Weg nach vorn anregen

In 50 Politikbereichen stellt die Studie die Potenziale, die  unter Berücksichtigung des Stands der EU-Rechtsvorschriften erzielt werden könnten und die auf jeden Politikbereich zugeschnitten sind.

Wenn die EU diesen Weg ehrgeiziger, kollektiver Maßnahmen einschlägt, könnten die festgestellten Vorteile nicht vollständig zum Tragen kommen, was zu „Kosten des Nicht-Europa“ führen würde.

Die Studie dreht es ins Positive und kommt zu dem Ergebnis, dass eine weitere EU-Integration bis 2032 jährlich über 2,8 Billionen EUR generieren und dazu beitragen könnte, die Ziele der EU in den Bereichen soziale Rechte, Grundrechte und Umwelt zu erreichen. Die Vorteile einer weiteren EU-Integration würden die Gewinne aus Maßnahmen auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene nicht ersetzen oder untergraben, sondern vielmehr ergänzen und verstärken.

https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document/EPRS_STU(2023)734690

EU welfare systems and the challenges of poverty and inequality

How do welfare state policies address the issues of inequality and poverty both between and within EU Member States? It combines quantitative and qualitative analysis to show the strong links between inequality and poverty, not only with statistics, but also in terms of wealth distribution, intergenerational mobility and labour market dynamics. The study points to the links between welfare state policies and economic strategies, and investigates the direct and indirect impact of EU policies. It shows convergence in some areas, such as decreasing poverty levels and more pre-distributive policies across Member States, but it also shows persisting inequalities and a great deal of path-dependency – the continuing impact of historical traditions and institutions. The study concludes with four scenarios for the future of EU welfare states, casting light on the wide range of possible policy options both at national and at EU level.

https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document/EPRS_STU(2022)698916